Achtsamkeit, nicht Neugierde

Nachbarschaft – das bedeutet für mich vor allem Achtsamkeit für ein empathisches Miteinander. In jenem Sinne, als man aufeinander schaut - mit offenem Herzen und Gespür dafür, wie es einem anderen Menschen geht. Was er braucht, was ihn bedrückt. Ohne invasive Neugierde, sondern signalisierend: Hey, ich bin da. Ich sehe dich. Mit Bereitschaft dafür, dahinter zu blicken - hinter die Fassaden der Haus- und Wohnungsmauern. Und hinter die unsichtbaren Barrieren, die manche Menschen aufziehen, weil sie sich nicht bedürftig oder traurig zeigen wollen – aus Scham. 

Dabei geht es nicht darum, mit Bestemm in die Privatsphäre eines Mitmenschen "einzudringen", sondern um feinfühliges Hinhören und Hinsehen. Vielleicht auch, um – abseits eines routinierten „Wie geht’s so?“ - jene Fragen zu stellen, auf die es unbequeme Antworten geben könnte. Nachbarschaft bedeutet nicht zwingend tiefe Freundschaft, aber im Idealfall kann sie zu einer werden.

Und sonst? Zählen schlichte Freundlichkeit und Offenheit, im humanen Sinn. Manchmal ist es vielleicht nötig, „Grenzen" zu ziehen, um trotzdem bereit dafür zu sein, diese Grenzen möglichst durchlässig zu halten. Eine Art Handreichung, für den, der es braucht. 

Nachbarschaft ist idealerweise eine Ressourcengemeinschaft, in der nicht nur ideelle Ressourcen zählen, sondern auch materielle. Man kann so viele Sachen teilen, vom Auto über den Rasenmäher bis hin zur Komposttonne. Vielleicht gibt es eine Bereitschaft zum Tauschen, abseits von Euros, etwa so: Ich gebe dir Zeit, du gibst mir ein bisschen was von deinem selbst gebackenen Brot.Ich habe zu viel Obst gekauft: Magst du? Dafür schenkst du mir morgen ein Stück des guten Gugelhupfes.  

Und niemals vergessen: Nachbarschaft darf fröhlich sein. Gemeinsam zu lachen und zu feiern, ist etwas Wunderbares. Die kleine Welt als Gegenentwurf zur großen Welt im Krisenmodus. Leben im Hier und Jetzt: Alle gemeinsam – Junge und Alte, Fitte und Gebrechliche, Singles und Familien, Traurige und Frohe, Hunde und Katzen, Hamster und Meerschweinchen. Ein ewiges Fest des Miteinanders, mit Höhen und Tiefen. Feiern wir es.

Gabriele Kuhn, Autorin und Journalistin (KURIER)